Auch Baden-Württemberg ist massiv vom Insektensterben betroffen. Das zeigen die ersten Ergebnisse der Bestandsuntersuchungen auf rund 100 Probeflächen im Land. Durchschnittlich wurden während der Untersuchungsmonate in den aufgestellten Insektenfallen weniger als fünf Gramm Insektenbiomasse pro Tag gefangen. „Das ist viel zu wenig“, stellte Umweltstaatssekretär Andre Baumann klar. „Diese Menge bestätigt die Erkenntnis aus der Studie des Entomologischen Vereins Krefeld, die als erster Beleg des Insektensterbens gilt.“ Bei der Studie wurde ein Rückgang der Biomasse in den letzten drei Jahrzehnten um bis zu 80 Prozent festgestellt.
Kein Zweifel am Insektensterben
Im Sommer 2018 und von April bis Juli 2019 waren die Insektenfallen auf den Probeflächen aufgestellt. Insgesamt sind 191 Flächen in das Insekten-Monitoring einbezogen, davon 30 in Naturschutzgebieten. Von insgesamt gut der Hälfte liegen jetzt die ersten Ergebnisse vor. „Endgültige Aussagen über das Ausmaß des Insektensterbens im Land werden wir erst nach der vollständigen Kartierung, voraussichtlich 2021, treffen können. Aber das ist jetzt schon klar: Insektensterben gibt es auch bei uns“, erklärte die Präsidentin der LUBW Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg, Eva Bell.
Die LUBW koordiniert das Insekten-Monitoring im Auftrag des Umweltministeriums. Rund 1,5 Millionen Euro wurden bislang für das Monitoring im Rahmen des Sonderprogramms Biologische Vielfalt der Landesregierung bereitgestellt. „Erfolgreiche Naturschutzpolitik basiert auf verlässlichen Daten, insofern ist das Monitoring ein Schlüsselelement des Sonderprogramms“, so Bell.
Insekten wesentliches Glied der Nahrungskette
„Wir haben eine zutiefst besorgniserregende Entwicklung“, sagte Baumann. „Insekten übernehmen Schlüsselfunktionen im Ökosystem. Sie zersetzen abgestorbene Materialien, erhalten die Bodenfruchtbarkeit und sind ein wesentliches Glied der Nahrungskette. Allein der Wert der durch Insekten bestäubten Nutzpflanzen beläuft sich weltweit jährlich auf geschätzte 235 – 577 Milliarden US Dollar. Umso erschreckender ist der Insektenschwund und umso wichtiger ist es, dass wir alles tun, um ihn aufzuhalten.“ Darum habe die Landesregierung das Sonderprogramm zur Stärkung der biologischen Vielfalt ins Leben gerufen. „Baden-Württemberg nimmt auch beim Insektenschutz bundesweit eine Vorreiterrolle ein“, so Baumann. „Und die von der LUBW entwickelte Monitoring-Konzeption erfährt inzwischen bundesweite Beachtung.“
Die Wissenschaft als Partner
Das Naturkundemuseum Stuttgart ist mit seiner taxonomischen Expertise und den einzigartigen wissenschaftlichen Sammlungen wichtiger Partner für das landesweite Monitoring. Alle im Biomassen-Monitoring erfassten Insekten werden in der entomologischen Sammlung des Naturkundemuseums archiviert und helfen, die Kenntnisse über die Insektenfauna Baden-Württembergs zu erweitern. „Mit unseren Daten können wir nicht nur die Entwicklung der Insektenbestände überwachen, sondern erstmals auch das zeitliche und räumliche Vorkommen bisher kaum erfasster Arten dokumentieren“, sagt Prof. Dr. Lars Krogmann, Projektleiter der Biomassenerfassungen. „Damit schaffen wir die Grundlage für einen wissenschaftlich fundierten Insektenschutz.“
Hintergrund-Infos: Biomasse Insekten
Die Aussagen der LUBW zur Biomasse-Luft basieren auf Erhebungen in der Zeit von Juli bis August 2018 und April bis Juli 2019. Die in einer standardisierten Falle gefangene Biomasse flugaktiver Insekten beträgt in Baden-Württemberg weniger als 5 Gramm pro Tag. Dieser Mittelwert entspricht in etwa dem in der Studie des Entomologischen Vereins Krefeld aus dem Jahr 2017 genannten Wert. Die gemessene Entwicklung der Biomasse spiegelt die Insektenaktivität im Jahresverlauf mit einem Maximum im Juni und Juli. Dabei liegen die gemessenen Werte mit über 10 Gramm pro Tag im Sommer um eine Größenordnung über den Frühlings- und Herbstwerten.
Indikator Tagfalter
Die Erhebungen zum Indikator „Tagfalter“ starteten 2018 in einem wärmebedingt sehr guten Schmetterlingsjahr. Auf 50 Probeflächen wurden insgesamt 23.529 Falterindividuen aus 103 Arten kartiert. Erwartungsgemäß lagen die Artenzahlen in Naturschutzgebieten um etwa ein Drittel höher als in Ackerflächen der Normallandschaft. Die Individuenzahlen je Transsekt, also auf einer 1,5 km langen Begehungsstrecke, lagen um fast zwei Drittel höher. 2018 wurden am häufigsten anspruchslose Arten des Grünlandes und von Feldrainen nachgewiesen. Dazu gehören das Große Ochsenauge mit 3.600 Individuen und der Kleine Kohlweißling mit 1.288 registrierten Individuen. Diese Arten kommen in hohen Individuendichten vor und sind in fast allen Stichprobenflächen vorhanden. Sehr selten sind jedoch das Sonnenröschen-Grünwidderchen und der Zahnflügel-Bläuling. Das sind sehr anspruchsvolle Tiere hochwertiger Magerrasen. Jeweils wurde nur ein Fund gezählt.
Indikator Heuschrecken im Grünland
Heuschrecken repräsentieren pflanzenfressende Insekten auf Biotopebene, da sie mehrheitlich ihren gesamten Lebenszyklus im selben Lebensraum verbringen. Bisher wurden im Rahmen des Monitorings 14.310 Individuen aus 35 Arten erfasst. Im Vergleich von Naturschutzgebiet und Grünland zeigt sich auch hier, dass Schutzgebiete fast um ein Drittel artenreicher sind als ungeschützte Grünlandstandorte. Jedoch unterscheidet sich die Anzahl der Individuen zwischen geschützten und ungeschützten Gebieten kaum, da weniger anspruchsvolle Arten auch in qualitativ weniger hochwertigem Grünland hohe Populationsdichten aufweisen können.
Ein Vergleich mit Heuschrecken-Datensätzen aus 20 Jahre alten Erhebungen zeigt zudem eine deutliche Verschiebung im Artenspektrum, aber kaum eine Veränderung im Artenreichtum der untersuchten Standorte. Ein kühlfeuchtes Klima bevorzugende Arten wie die Alpine Gebirgsschrecke, der Sumpfgrashüpfer und die kurzflügelige Beißschrecke büßen dabei an Areal ein. Wärmeliebende Arten wie die Südliche Eichenschrecke, die Schiefkopf- oder die Lauchschrecke breiten sich aus. Weiterhin ist zu beobachten, wie Arten magerer Standorte zurückgehen. Dazu gehören beispielsweise die Wanstschrecke und die Gefleckte Keulenschrecke. Änderungen der Bewirtschaftung und höhere Stickstoffeinträge sind hier die Ursachen. Dies zeigt die besondere Eignung von Insekten als ökologische Indikatoren des Klimawandels und der Landnutzung.