Am 4. März 2019 hat ecoGuide einen Beitrag über die Foto-Live-Show „An den Rändern des Horizonts“ veröffentlicht, die Markus Mauthe am 13. März in Landau und am 14. März 2019 in Heidelberg zeigen wird. Nachfolgend präsentiert ecoGuide ein ausführliches Interview mit dem Naturfotografen und Umweltaktivisten:
Herr Mauthe, seit 30 Jahren sind Sie mit Ihrer Kamera unterwegs und bringen faszinierende Bilder aus den verschiedensten Lebensräumen unserer Erde mit. Diesmal haben Sie vor allem Menschen in den Fokus Ihrer Arbeit gerückt und es sich zum Auftrag gemacht, indigene Gemeinschaften zu porträtieren. Wie kam es zu diesem Vorhaben?
M. Mauthe: Tatsächlich lag der Schwerpunkt meiner Arbeit in den vergangenen Jahren darauf, die Vielfalt und Schönheit der Natur abzubilden. Ich habe beispielsweise sehr viel in Wäldern gearbeitet. Meine Fotos habe ich immer gezielt genutzt, um auf die Veränderungen hinzuweisen, denen sie ausgesetzt ist. Das aktuelle Projekt nimmt nun die Perspektive derer ein, die allgemein hin noch enger mit der Natur verbunden sind, als der Großteil der Menschen heute. Es ist praktisch eine logische Fortsetzung meines bisherigen Tuns. Nun richte ich meinen Blick nicht nur auf die Natur und Umwelt, sondern auf die Menschen, die darin leben.
Welches Ziel verfolgen Sie mit Ihrer Arbeit und was treibt Sie an?
M. Mauthe: Ich hatte und habe das Privileg, in meinem Leben viel reisen zu dürfen. Dies hat mir die Möglichkeit eröffnet, sehr viel von unserem wunderschönen Planeten erkunden zu können. Diese Erfahrung möchte ich in Form meiner Bilder und Berichte an andere weitergeben. Das Feuer meiner eigenen Begeisterung für die Schönheit und Vielfalt intakter Natur und deren Bewohner möchte ich mit meiner Arbeit bei möglichst vielen Menschen ebenfalls entfachen – sei es mit meiner Fotografie, bei meinen Live-Reportagen oder in meinen Büchern. Denn nur was wir lieben und was uns gegenwärtig ist, das sind wir auch bereit zu schützen.
Sie haben für dieses Projekt 13 Reisen unternommen und haben 22 indigene Volksgruppen besucht. Nach welchen Kriterien haben Sie Ihre Auswahl getroffen?
M. Mauthe: Ich hatte zwei Ansätze. Zum einen wollte ich die ungeheure Anpassungsfähigkeit des Menschen darstellen, deshalb habe ich vier unterschiedliche Lebensräume ausgewählt: Wald, Grasland, Wasser und Eis. Dafür war ich in Afrika, in Asien, am Nordpolarkreis und in Südamerika unterwegs. Ich versprach mir davon eine ungeheure Fülle an spannenden Geschichten und Motiven, denn das Leben im heißen Tropenwald erfordert natürlich ganz andere Fähigkeiten als das Überleben bei 50 Grad unter Null im arktischen Norden der Erde. Außerdem wollte ich kulturelle Besonderheiten dokumentieren wie die Gesichtstätowierungen der Chin-Frauen in Myanmar.
Wie war es Ihnen möglich, die Menschen vor Ort kennenzulernen?
M. Mauthe: Jede Begegnung verläuft anders und folgt doch einem gewissen Protokoll. Es macht natürlich einen großen Unterschied, ob man zu Menschen reist, die an Touristen gewohnt sind, oder Dörfer besucht, die eher weniger Kontakt mit Besuchern aus anderen Kulturkreisen haben. Grundsätzlich habe ich immer einen einheimischen Guide bei mir, der mit den korrekten Verhaltensweisen innerhalb der besuchenden Gemeinschaften vertraut ist, und natürlich auch deren Sprache spricht. Wo es möglich war, sind wir über einen Zeitraum von mehreren Tagen in den Dörfern und Gemeinschaften geblieben. Dabei haben wir immer versucht, den nötigen Ausgleich zu suchen zwischen nah genug für unsere Dokumentation und respektvoller Distanz, um nicht aufdringlich zu sein.
Einige Destinationen haben Sie nicht zum ersten Mal besucht, sondern waren dort schon früher unterwegs. Wie haben Sie es erlebt, dorthin zurückzukehren? Was hat sich verändert?
M. Mauthe: Ich habe das Projekt mit dem südlichen Afrika begonnen, weil es mir von meiner ersten Afrikareise Anfang der 90er Jahre – damals noch als junger Fotograf – vertraut war. Da bisher ja eher Landschaften und Tiere mein fotografisches Metier waren, hatte ich durchaus Respekt vor der Herausforderung, mich nun drei Jahre lang mit Menschen zu beschäftigen. Da tat es gut, nicht mit etwas gänzlich Unbekanntem zu beginnen, und so habe ich die San und Himba besucht. Schon diese erste Reise hat gezeigt, was sich dann wie ein roter Faden durch die gesamte Arbeit gezogen hat: Die Welt ist in einem rasanten Wandel, und kaum etwas bleibt wie es ist. Die Kultur der San findet praktisch nur noch in Schaudörfern für Touristen statt, und die Himba kämpfen im nördlichen Namibia um das Überleben ihrer Rinder, weil es im Mittel in dieser sowieso schon trockenen, ariden Gegend immer weniger regnet.
Gab es indigene Gemeinschaften, die Sie besonders beeindruckt haben?
M. Mauthe: Beeindruckt war ich eigentlich von allen Besuchen. Der Großteil dieser Menschen lebt unter Bedingungen, die für uns, mit unserem westlichen Lebensstil, kaum erträglich wären. Sei es wegen des Mangels an sauberen Wasser oder einer ausgewogenen Ernährung, extremen Umweltbedingungen wie Hitze oder Kälte, oder dem Fehlen von praktisch jeglicher Bequemlichkeit. Zwei Beispiele kann ich aber nennen, die ich besonders beachtenswert fand: Die Volksgruppe der Mundari lebt im Südsudan nur wenige Autostunden von der Hauptstadt Juba entfernt. Diese Weltregion kennt seit vielen Jahrzehnten nur den Zustand des bewaffneten Konflikts. Trotzdem ist die Gemeinschaft der Mundari bis heute in ihren sozialen und kulturellen Strukturen intakt. Sie leben in enger symbiotischer Verbindung mit ihren großhornigen Rindern, worüber sie auch ihre kulturelle Identität definieren.
Auch die Padaung, ein Bergvolk in Myanmar, sind mir stark in Erinnerung geblieben. Die Frauen tragen zeitlebens schwere Messingringe um ihren Hals, die ihre Schultern nach unten drücken, was den Hals länger wirken lässt. In Zeiten der Globalisierung verschwindet heute ein Großteil der kulturellen Eigenheiten mit rasanter Geschwindigkeit. Deshalb finde ich es umso erstaunlicher, dass gerade diese Tradition freiwillig weitergeführt wird. Auch heute noch tragen viele junge Mädchen stolz ihre im Laufe des Lebens zahlreicher werdenden Ringe um den Hals.
Welche persönlichen Begegnungen haben Sie besonders berührt?
M. Mauthe: Im Omo-Tal im Süden Äthiopiens werden massiv Industrieprojekte angeschoben. Landraub in großem Stil ermöglichen Zuckerrohrfelder riesigen Ausmaßes. Diese müssen bewässert werden, weshalb der Omofluss seit kurzem mit Staudämmen gezähmt wird. In diesem Gebiet gibt es eine ungeheure Vielfalt verschiedener Ethnien, die auf relativ kleiner Fläche zusammenleben. Eine davon ist die Gruppe der Dasanech. Die Existenz dieser Menschen ist stark durch die Staudämme bedroht. Die Regenzeit brachte jährliche Überschwemmungen, mit denen der Fluss wichtige Mineralien über ihre Felder gespült hat. Diese wird es in Zukunft nicht mehr geben, was praktisch die Lebensgrundlage der Dasanech zerstört. Immer öfter sieht man im Omo-Tal die weißen Zelte der Welthungerhilfe. Mit Almosen, auch noch in Plastik verpackt, versucht die westliche Welt etwas gutzumachen und zurückzugeben, was man den Menschen an anderer Stelle entreißt.
„Wir brauchen eure Hilfe nicht! Wir benötigen nur das Wasser aus unserem Fluss.“ Dieser Satz einer Dasanech – schon fast in flehendem Ton ausgesprochen, als ich sie für mein Projekt interviewt habe – ist einer der Schlüsselmomente des gesamten Projektes für mich gewesen. Bringt er doch auf den Punkt, was ich an so vielen anderen Stellen der Erde auch beobachten konnte: Das Schicksal einiger vermeintlich Rückständiger wird einem Weltbild geopfert, in dem Profit und ein möglichst rasches Angleichen an westliche Vorstellungen einer modernen Lebensweise oberste Priorität haben.
Sie arbeiten auf Ihren Reisen immer wieder unter erschwerten Bedingungen. Welchen Herausforderungen waren Sie auf den Reisen für Ihr neues Fotoprojekt mitunter ausgesetzt?
M. Mauthe: Nicht selten war die Logistik vor dem jeweiligen Start eine große Herausforderung. Eine Reise in den Südsudan erschien trotz endloser Recherchen jahrelang als völlig unmöglich. Durch Zufall und Glück habe ich schließlich doch noch die richtigen Leute gefunden, die unter hohem Aufwand das scheinbar Unmögliche wahrmachen konnten. Auch für meinen Besuch bei den Rentiernomaden der Tschuktschen war der schwierigste Teil eindeutig die Zeit vor dem Aufbruch. Es erwies sich als ungeheuer aufwendig, überhaupt eine Erlaubnis für eine Exkursion in Russlands nordöstlichste Region zu bekommen. Einmal stand ich praktisch schon mit gepackten Sachen an der Haustür, als die Nachricht kam, dass der Geheimdienst unsere Genehmigung zurückgezogen hat. Die genauen Hintergründe kenne ich bis heute nicht. Ich weiß nur, dass sich trotz der Enttäuschung die Mühen gelohnt haben, denn drei Monate später hat es bei einem erneuten Versuch dann geklappt.
Mit einer guten Planung und einem zuverlässigen Team kann man heute eigentlich relativ sicher fast jeden Winkel der Erde bereisen. Aber natürlich kann einem dabei Unvorhergesehenes immer widerfahren. Geschwächt durch einen Infekt, dachte ich bei der Besteigung eines Bergzuges im Südsudan, ich müsse verdursten, weil sich das dortige Wasser als ungenießbar erwies. Aber auch wenn es für mich zuweilen an meine körperlichen Grenzen ging, zumeist wegen großer Hitze, hat doch alles immer recht gut geklappt. Auch die Wurmeier, die sich in meinen Füßen eingenistet hatten, waren in Deutschland schnell wieder herausgeschnitten.
Teil 2 des ausführlichen Interviews mit Markus Mauthe erscheint morgen, 9. März 2019, in ecoGuide.